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François Loeb: Zeitweichen. Fast-Read-Romane.

 

 

 

Fastfood für die Fantasie

 

François Loeb ist ein Relikt. Seine Erscheinung erinnert an die eines klassischen Gentleman, nonchalant, gebildet, beredt. Seinen Ruhestand hat sich der weltmännische Unternehmer, Politiker und Autor wohl verdient und darf ihn seinen Lieblingstätigkeiten widmen – ein beneidenswerter Zustand. Es passt zum Image des Bohemien, dass er in einem großen Schweizer Blatt seine Fast-Read-Romane veröffentlichen kann. Die vorliegende Printausgabe widmet er der Zeit. In Zeitweichen begegnet VIOLA STOCKER der Herausforderung, die Zeit nicht unnötig zu vergeuden.

 

Loebs Fast-Read-Romane lesen sich sagenhaft leicht. Sie spielen, jeder einzelne, mit den Gedanken einer modulierbaren, fassbaren Zeit, die wie Knete formbar ist, deren Verstreichen wie rieselnder Sand sichtbar wird. Humorvoll und elegant widmet Loeb jede Episode einem neuen Blickwinkel. Eine Zeitbank, den Zeitgeist, Hochzeit, Wortspiel um Wortspiel mäandert Loebs Werk durch das Universum eines Begriffs, der grundsätzlich körperlich abwesend ist.

 

Frühstücksromane

Wird der Rahmen einer Zeitung addiert, passen Loebs Kurzgeschichten perfekt. Zwischen Frühstück, Tram und Mittagspause liest sich eine Episode über die Zeit wie ein frischer Sommerregen. Intelligent, amüsant, elegant. Jede Story birgt Grübelpotential, die eigene Fantasie erhält Flügel, auf denen über alternative Wirklichkeiten nachgedacht wird. Läuft das eigene Leben richtig? Hätte es andere Möglichkeiten gegeben? Wenn es denn überhaupt ein Ansatz sein kann, über Alternativen und Entscheidungsfreiheiten zu sprechen.

 

Insgesamt ähnelt jede der Kurzgeschichten einem großen Wortspiel. »Zeittotschlag«, eine der kürzeren Episoden, handelt vom Hilferuf der Zeit, die von einem Totschläger bedroht wird. So nimmt Loeb sich vieler unserer Alltagsmetaphern an, zerlegt sie, wie den Begriff des »Zeitsparens«. In ihrer absoluten Absurdität erscheinen sie dann als das, was sie sind: Erfindungen einer menschlichen Kultur, die Schwierigkeiten mit Begriffen hat, die nicht fassbar sind.

 

Altersweise Gesellschaftskritik

Loeb, der Unternehmer und Denker, Schöngeist und Autor, benutzt gängige Umschreibungen der Zeit gepaart mit dem unternehmerischen Denken des Kapitalismus. Entblößend wirken Stories wie »Zeitsparkasse«, »Zeitvertrieb« oder »Zeitgutschrift«. Merkt die Menschheit überhaupt noch, wie absurd der Umgang mit der Ewigkeit ist? Zeit als Ressource, als handelbares Objekt einer imaginären Börse – Loeb lässt kein Klischee undurchdacht.

 

In der großen Masse der zeitkritischen Gedanken liegt auch die stärkste Gefahr der Fast-Read-Romane von François Loeb. Was amüsant oder schockierend ist, wird in der Menge der Varianten und der Kürze der Episoden bald anstrengend. Loebs Kurzgeschichten sollten auch in der gebundenen Ausgabe gelesen werden wie in der NZZ: Häppchenweise, jeden Tag ein kluger Gedanke. Geballt wirken die Kunstgriffe des Autors auch gekünstelt, bei mancher Metapher huscht ein »kenn ich doch« über die Seiten.

 

Zeit zum Zeitungslesen

Was Loeb nicht davon abhalten sollte, weiter intelligente Kurzgeschichten über unsere modernen Laster zu verfassen. Er hat ein Talent, das zunehmend abhanden kommt: Loeb ist ein guter Geschichtenerzähler. Mit dem tiefen Blick eines anthropophilen Kritikers erfasst er die Probleme einer westlichen Zivilisation kurz und knapp und ist in der Lage, sie in eine fesselnde Geschichte zu verpacken. Letztendlich wertet er nicht, er beleuchtet nur die verschiedenen Aspekte vorfindbaren Verhaltens. Jeder darf sich selbst gespiegelt sehen oder auch nicht. Die Zeit zu nehmen, diesen Spiegelungen zu folgen, ist die stille Aufforderung, die Loeb seinen Lesern täglich anbietet.

 

Titelangaben:

François Loeb: Zeitweichen. Fast-Read-Romane.

München: Allitera Verlag, 2017. 164 Seiten. 14,80 €.

 

 

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