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Truman Capote: Wo die Welt anfängt. Erste Erzählungen.

Worte eines alten Teenagers

Um diesen Band von Erzählungen richtig zu begreifen, sollte man sich zuerst mit dem Nachwort der Herausgeberin Anouschka Roshani befassen. Truman Capote hat seine Geschichten aus

Wo die Welt anfängt als Teenager verfasst, doch mit dem Sprachduktus des fertigen Autors geschrieben. Dies erst macht die vielen Erstveröffentlichungen zu einem wahren Schatz. Die Wundmale des Genies, der als Mensch nie fertig wurde, brandmarken seine Worte als Panoptikum der Emotionen seiner Zeit, nicht eines Kindes. VIOLA STOCKER reiste als Passagier durch ein Universum des amerikanischen Traums.

Die Stimme des Kindes ist nur selten zu hören in diesen Erzählungen und lässt sich am ehesten dort vernehmen, wo die Worte eines Teenagers dem Erzählten gegenüber versagen. Wenn Tod und Leid und Bosheit regieren und Capotes vierzehnjähriges Alter Ego versucht, die Welt zu begreifen. Insofern ist auch die Titelgebung ein Gewinn, denn hier fängt die Welt an, wenn ein Kind den ersten Schritt aus seiner Kindheit heraus tut.

Ein Hauch von Südstaatenblues

In vielen der Erzählungen spielt der Alltag in den Südstaaten der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine große Rolle. Das Landleben, gepaart mit Laisser Faire und den Überbleibseln der französischen Kultur, wird durch die Augen der Protagonisten gesehen. Capote scheut nicht den Perspektivenwechsel, in den kurzen Momentaufnahmen erzählen verschiedenste Personen eine Geschichte. Dort, wo der Teenager keine Antwort hat, bleiben auch die Protagonisten wortlos. So entsteht eine magische Atmosphäre der Geheimnisse des Lebens.

Die alte Miss Belle Rankins ist so eine Gestalt. Mal beobachtet vom achtjährigen Ich-Erzähler, mal auktorial erzählt, dann wieder spricht der gealterte junge Mensch. Sie stirbt verarmt und unverstanden, hätte ihre schönen Zierquitten verkaufen können und zieht doch das Elend und die Bettelei vor. Im Anblick ihres Todes verjüngt sie sich. Capote spart sich Erklärungen und Deutungen. Vielleicht findet er keine Erklärung für seine Bilder, vielleicht verweigert er dem Leser, was er selbst ahnt. So werden all seine Erzählungen geheimnisvoll und vorahnend.

Tod, Elend und Hoffnung

Truman Capote gelingt es, nicht zu werten. Eine Verbrecherin erscheint einer alten Bekannten, bittet um Fluchthilfe und wird ins Moor gelotst. Ein Junge will einen Verbrecher jagen und verliert seinen Freund an den Mörder. Ein Kind verliebt sich in die Mutter eines sterbenden Jungen. Eine Diebin beteuert ihre Unschuld, während sie weiter stiehlt. Die Ambivalenz menschlicher Existenz ist Capote offensichtlich früh bewusst gewesen. Er, der sich seines Andersseins und seiner Homosexualität wegen ausgeschlossen fühlen muss, aber auch unbedingt besonders sein will.

Für Capote kommt der Tod als schöner, junger Mann und ist so besonders erschreckend. Ein Engel erscheint in der Gestalt einer jungen Frau, die Kinder nicht leiden kann und ein Kinderleben rettet. Ein Kind sucht die Freundschaft eines kranken Kindes und freut sich doch, als es stirbt, weil es den Hund des Verstorbenen bekommt. Solche Gefühle sind vielleicht moralisch verwerflich, doch es gibt sie allemal. Den Tod, der nicht bereut wird, der Diebstahl, der erfreut, ein Engel, der keiner ist.

Gespür für Schicksal

Als Kind erfährt man das Ausgeliefertsein an die Welt wohl stärker als ein erwachsener Mensch. Vielleicht deshalb scheint Capote so fasziniert von Erzählungen, in denen das Schicksal in das Leben von Menschen auf tragische Weise eingreift. Wäre Capote nicht ein so guter Erzähler, klängen die Schicksale verschiedener Menschen, die an einem Tag auf unterschiedliche Weise ein neues Leben geschenkt bekommen und am Ende doch bei einem Busunfall ums Leben kommen, etwas kitschig und heroisch. Hier wird man dem Autor die Jugend nachsehen und verstehen, dass ein Mensch im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kraft die Wege des Schicksals oft nur besonders ungern akzeptiert.

Jede einzelne Erzählung ist anrührend und zauberhaft. Ein Jugendlicher benutzt seine Sprache, um die Welt zu begreifen. Heraus tritt ein fertiger und erwachsener Autor, dessen literarischer Weg stringent fortsetzt, was er in seiner Jugend begann. Jede Gestalt, mit der Capote sich auseinandersetzt, ist ambivalent und liebenswert und doch kaputt, wie Holly Golightly. Darüber weht der Hauch des Südens über dem kühlen New Yorker Geist.

Titelangaben:

Truman Capote: Wo die Welt anfängt. Erste Erzählungen.

Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach.

Berlin: Kein & Aber, 2015. 160 Seiten. 18,90 EUR.

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