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Subhash Ranade: Ayurveda. Wesen und Methodik

Altes Wissen neu erklärt

Zugegeben, für Suhash Ranades Buch über Ayurveda. Wesen und Methodik braucht man definitiv medizinisches Vorwissen und eine Vorliebe für die indische Heilkunst. Aber dann tun sich dem geneigten Leser unendlich alte und kluge Welten auf über ein Wissen, das wir verloren haben, weil es in unserer modernen Welt obsolet geworden ist. Theoretisch. Denn in Wirklichkeit lohnt sich der Blick hinter den glitzernden Vorhang des Orients.

Ayurveda ist nicht nur Medizin, Ranade betont das von Anfang an. Es ist interessant zu hören, dass ausgerechnet ein Schulmediziner, der sich auf Ayurveda spezialisiert hat, im Einführungskapitel vor allem metaphysische Konzepte vorstellt. Denn offensichtlich kann man Ayurveda nicht denken, ohne das komplexe hinduistische Konzept von Elementen, göttlichen Eigenschaften und deren Interaktion mit dem menschlichen Leben zu kennen.

Hinduistische Götterwelt und menschliches Denken

Es geht infolgedessen auch die Legende, dass alles medizinische Wissen von Brahman selbst an die ersten Mediziner weitergegeben worden war. In den lesen finden sich viele Vorstellungen, die auch in der Ayurvedischen Medizin (daher der Name) ihren Niederschlag finden. Die ältesten vedischen Schriften, Rigveda und Atharvaveda, enthalten viele Beschreibungen von Krankheitsfaktoren, Kräuterzubereitungen und der Anatomie und Physiologie, die später essentielle Bestandteile der ayurvedischen Lehre wurden.

Brahman hatte seine Vorstellungen über die Medizin an die Ärzte der Götter weitergegeben, die ihrerseits Indra dieses Wissen vermachten. Er verfasste ein grundlegendes, achtteiliges Werk über die Medizin, das religiös manifestiert war. Später wurde das in den Veden verstreute medizinische Material systematisch gesammelt und um wissenschaftlich aufbereitete Zusammenstellungen erweitert. Berühmte frühzeitliche indische Ärzte begründeten so ihren Ruhm. Hierzu gehörten vor allem die Werke von Caraka und Susruta.

Grundlagen der Elementenlehre

Was ich nicht wusste und mich faszinierte war, dass unsere eigene mittelalterliche Lehre von den Temperamenten letztendlich auf die ayurvedische Lehre zurückging. Die Grundlagen zu der Typenlehre von Cholerikern, Sanguinikern, Phlegmatikern und Melancholikern haben wir aus der griechischen Medizin übernommen. Tatsächlich galt Indien seinerzeit als Wiege der Medizin und viele griechische und römische Gelehrte suchten damals zur Weiterbildung indische Ärzte auf. Nur der starke Bezug auf die Religion und den Buddhismus hat sich verwässert, so dass später die Lehre von den Temperamenten hauptsächlich zur Diagnostik verwendet wurde, während in der ayurvedischen Lehre immer auch der Bezug zum göttlichen System hergestellt werden musste.

Um die Elementenlehre richtig zu verstehen, führt Ranade die Grundlagen der ayurvedischen Philosophie ein. Sie sind sehr komplex und über Jahrtausende gewachsen. Für alle, die sich nicht ganz in Ayurveda vertiefen wollen, hilft es wohl, zu wissen, dass göttliche und menschliche Systeme eng verbandelt sind und von drei Grundeigenschaften – Gunas – bestimmt und von einer Grundsubstanz des Alls – Prakrti – verursacht werden.

Weit verzweigtes altes Wissen

Der Tatsache geschuldet, dass Ayurvedische Medizin tief in der hinduistischen Tradition verwurzelt ist und das Wissen über Jahrtausende überliefert wurde, ergibt sich ein relatives Wirrwarr an Zuständen und Krankheitsbildern, die je nach Temperament und Ursache unterschiedlich behandelt werden müssen. Ranade versucht dennoch, einen grundlegenden Überblick zu geben. Medizinisches Vorwissen erleichtert das Lesen ungemein, denn Ranade vergleicht immer wieder traditionelle ayurvedische Behandlungsweisen mit westlichem Vorgehen. Will man wissen, was Ayurveda am Körper bewirkt, ist es hilfreich, die Physiognomie und Anatomie mit einer entsprechenden Brille zu lesen.

Für Mediziner oder Interessierte folgt ein langer Teil über Krankheitsbilder, mögliche Ursachen und empfohlene Behandlungsweisen. Ranade geht hier sehr ins Detail. Für Laien ist es erstaunlich, zu sehen, welch großen Wert auf eine ganzheitliche Behandlung die ayurvedische Medizin legt. Nach ihren Prinzipien kann eine Krankheit nur durch ein Ungleichgewicht der Temperamente entstehen, wobei Physis und Psyche eine große Rolle spielen. Wenn man sich darauf einlässt, wird man sich vielleicht auch fragen, weshalb manche Leute sich anstecken und andere nicht. Eine Behandlung eines Krankheitsbildes schließt deshalb in der ayurvedischen Tradition auch immer die Betrachtung der Psyche mit entsprechenden Übungen mit ein. Das ist das eigentlich Faszinierende an Ranades Abhandlung: sich wieder daran zu erinnern, dass auch in einem kranken Körper immer noch ein Mensch steckt.

Titelangaben:

Subhash Ranade: Ayurveda. Wesen und Methodik

Aus dem indischen Englischen: Dr. Hellmuth Nordwig.

Kandern: Narayana Verlag, 2014. 248 Seiten. 39 EUR.

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