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Ernst Zürcher: Die Bäume und das Unsichtbare. Erstaunliche Erkenntnisse aus der Forschung.

Der Zauber des Waldes

Ernst Zürcher hat mit Die Bäume und das Unsichtbare. Erstaunliche Erkenntnisse aus der Forschung ein wundervolles Buch geschrieben. Es wird ganz vorne in meinem Bücherregal stehen und viele meiner Entscheidungen, die meine Obstwiese betreffen, beeinflussen. Fernab von Aberglaube und Hokuspokus zeigt er durch sein umfangreiches Wissen als Holzwissenschaftler an der ETH Zürich, mit welch wunderbaren Wesen wir in Nachbarschaft leben dürfen.

Es scheint vor allem, dass wir Wissen verloren haben. Das ist meine erschreckende Erkenntnis aus diesem Buch. Die Konsequenz aus unserer massiven Ignoranz ist die fortschreitende Abholzung aller Wälder und die damit einhergehende weitreichende Schädigung unseres Planeten und unserer Leben. Doch Zürcher wäre nicht Forstwissenschaftler, hätte er nicht alle Möglichkeiten und historischen Vorbilder ausgeleuchtet und überprüft. Was er in diesem Buch bietet, ist ein grundlegendes Verständnis davon, was ein Baum ist und kann und wie wir zusammen mit den Bäumen unsere Lebenswelt umgestalten sollten.

Magie der Riesen

Schon seit Urzeiten haben Völker Bäume verehrt. In fast allen Religionen gibt es ihn, den Baum des Lebens. Die Juden und Christen wussten ihn in der Mitte des Paradieses, mit der Frucht des Wissens behängt, die Germanen verehrten die Weltesche, die Kelten ihre Jahrhunderte alten Eiben, und auch indigene Völker auf anderen Kontinenten empfanden tiefen Respekt vor manchen Bäumen. Sie waren stets besonders alt oder wiesen Eigenheiten wie andersfarbige Nadeln oder Blätter auf, waren besonders groß gewachsen oder standen an exponierten Stellen.

Der Wald lebt von Geheimnissen, noch heute empfinden wir Waldspaziergänge als mystisch, erholsam oder unheimlich. Das Licht ist anders, die Geräusche ebenso und zwischen all den Riesen beschleicht einen das Gefühl der Nichtigkeit. Eine unsichtbare Aura umwogt die Bäume, unsere Vorfahren wussten es und mystifizierten sie, die neueren Religionen aber ließen die alten Heiligtümer fällen zugunsten einer anthropozentrischen Sichtweise.

Sichtbares und Unsichtbares

Aber Zürcher ist viel zu sehr Wissenschaftler, um sich länger als fünfzig Seiten mit der Mystik der Wälder aufzuhalten. Tatsächlich umgibt sichtbare Holzriesen sehr viel Unsichtbares. Vor allem Kohlenstoff und Sauerstoff. Ab hier wird Zürchers Buch sehr wissenschaftlich, doch geradezu atemberaubend interessant. Hatte man bis vor kurzem Bäume als eine Art Recyclingstation für Sauerstoff angesehen, geht Zürcher anhand von neuesten Untersuchungen andere Wege.

Bäume generieren Sauerstoff, sie stellen ihn her. Baumsauerstoff hat ein anderes spezifisches Gewicht als der Sauerstoff, der sich sonst in unserer Atmosphäre befindet. Und nicht nur das, Bäume produzieren auch Wasser, es ist nicht nur Tau, der unter Bäumen die Luftfeuchtigkeit erhöht und die Waldluft so angenehm zum Atmen macht, sondern es scheint, als ob die Bäume genau wie wir Menschen bei ihrer täglichen Arbeit schwitzen. Sie produzieren Baumschweiß, Wasser, dessen Zusammensetzung und Qualitität nicht ansatzweise ausreichend erforscht ist.

Zeit und Gezeiten

Auch Ansätze der Chronobiologie fließen in Zürchers Betrachtungen ein. Wie beeinflusst der Mond das Wachstum der Natur? Wer schon immer auf Mondkalender beim Gärtnern schwörte, wird sich bestätigt finden, doch geht natürlich die Chronobiologie viel weiter. Erstaunliche Übereinstimmungen finden sich im Ablauf der Gezeiten, der Mondphasen und Wachstumsphasen in Gehölzen. Auch, wann und für welchen Zweck geschlagen wird, ist auf einmal relevant.

Holz als Baustoff bleibt weiter aktiv, Zürcher wirbt für das nachhaltige Baumaterial. Solange Holz nicht verbrannt wird, wandelt es weiter Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff um, Wohnklimata werden dadurch verbessert, die Klimabilanz unserer Gesellschaft kann ausgeglichener werden. Die schlechteste Verwendung ist wohl jene als Brennmaterial, doch selbst hier analysiert Zürcher die positiven Eigenschaften von Holzkohle und Holz als Energiespender.

Starkes Plädoyer für eine Baumpartnerschaft

Wie kann es anders sein, als dass Zürchers Buch mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für Aufforstung und Pflanzaktionen endet. Tatsächlich gehen einem die Gegenargumente aus, wenn Zürcher erfolgreiche Aufforstungsprojekte aus aller Welt beschreibt und neue Konzepte für Land-und Forstwirtschaft vorstellt. Gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Erhalt bedrohter Tierarten, eine positive Klimabilanz, Ausbalancierung der Klimakapriolen und des psychischen und physischen Wohlbefindens der Menschheit gibt es wohl kaum Alternativen zu seinem Weg.

Titelangaben:

Ernst Zürcher: Die Bäume und das Unsichtbare. Erstaunliche Erkenntnisse aus der Forschung.

Aarau: AT- Verlag, 2016. 240 Seiten. 24,95 EUR.

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