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António Lobo Antunes: Vom Wesen der Götter.

Götterdämmerung

António Lobo Antunesschreibt sich durch die Seele Portugals. Vom Wesen der Götter beleuchtet einen weiteren Aspekt der Salazar – Diktatur, diesmal aus der Warte eines Großindustriellen, der göttergleich in seiner Villa herrscht. In den Konflikten werden zwischen den Fronten jene zermahlen, die Herz und Seele eines Landes sind: Die Frauen. Sie sterben als eine Mischung aus Jungfrau Maria, Göttermutter Hera und Aphrodite. Doch sie sterben immer. VIOLA STOCKER trauert.

Cascais, ein beschaulicher Küstenort der portugiesischen Noblesse. Hier residiert in einer protzigen Villa der Senhor Doutor, der als Fabrikant, Feldherr, Berater des Präsidenten, Strippenzieher eines Krieges und Spion fungiert. Gefürchtet von seinen Angestellten, gehasst von seiner Gattin, verachtet von den Obdachlosen der Stadt hat er längst alle Ketten durchschlagen, die ihn an seine ärmliche Herkunft und an melancholische Momente seines Lebens erinnern. Als Göttervater Zeus begehrt er jede Frau, um sein Herrschaftssystem zu sichern, ist er zu allem bereit.

Spiegelbild der männlichen Seele

Lobo Antunes geizt nicht mit vielsinnigen Vergleichen zur griechischen Mythologie. Seine aus vielen Schichten gewebte Handlung der Götterdämmerung eines Magnaten begibt sich in alle Untiefen der menschlichen Seele, in jeden Morast, in alles Leid. Tiefe Hoffnungslosigkeit tränkt einen Roman, in dessen Verlauf vor allem Frauen zerschlissen werden, während die Herren der Schöpfung verzweifelt um einen würdevollen Tod kämpfen.

Eine derart verachtende Welt hat keinen Platz für die Liebe. Sie weicht dem Ehebruch, der Prostitution, der Vergewaltigung. Männer gewinnen dadurch Macht über Frauen, die zum Scheitern verurteilt sind. Die wenigen Versuche der Protagonistinnen, sich gegenseitig zu schützen, enden in Eifersüchteleien, Konkurrenzkämpfen und einem unwiederbringlichen Rückzug ins Privateste. Mütter müssen mitansehen, wie ihre Kinder sich zu Monstren, Diven oder Huren wandeln. Ehefrauen bangen um die Treue ihrer Männer.

Dreh- und Angelpunkt der Gesellschaft

Die Villa des Senhor Doutor ist der Hauptschauplatz solchen Theaters. Von hier aus beobachtet Lobo Antunes die Menschen, die aus und eingehen. Eine alleinerziehende Mutter, Angestellte in einem Buchladen, verkehrt dort wöchentlich zu einer Zeit, da der alte Glanz schon schwindet. Die Tochter des Senhor Doutor, selbst mittlerweile eine alte Frau, empfängt sie im Wintergarten wie in einem Tempel, die Bücher dienen als Opfergaben, um aus dem Leben der Magnatentochter zu hören.

Während der Alltag der Senhora in bleierner Trauer verfließt, hat die Verkäuferin mit eigenen Dämonen zu kämpfen. Sie wurde vom Ehemann verlassen, lebt in Not mit ihrem Sohn und verliebt sich in einen Buchhandelsvertreter. Diese Liebe resultiert in einer Gruppenvergewaltigung im Keller einer billigen Pension, niemand kennt den Vater des Kindes, das sie demnächst gebären soll. Ihre Empfängnis war nicht unbefleckt, ihre Arglosigkeit ein Kardinalfehler, die Besuche bei der Senhora werden zu einem ruhigen Moment ihres zerstörten Lebens.

Nehmen und genommen werden

Wie schleierhaft ist er, der Wille der Götter? Als junges Mädchen wird die Gattin des Senhor Doutor aus dem Kinderleben gerissen, zur Tilgung der Schulden des spielsüchtigen Unternehmervaters, der dafür als Brautpreis seinen Namen und das Geschirr behalten darf. Seine Fabrik als Mitgift rundet den Handel ab, der Senhor Doutor wird vom Bankier zum Fabrikanten. Hass und Verachtung prägen eine Ehe, die droht, kinderlos zu bleiben.  Denn der omnipotente Göttergatte ist unfruchtbar. Doch, Siegfried gleich, beschließt der Doutor, seinen Butler täglich ins Schlafzimmer seiner Gemahlin zu schicken, um sie dort solange zu vergewaltigen, bis sie ein Kind gebiert.

Über die eigene Tochter verfügt der Senhor Doutor ganz wie über seine Frau. Geschäftspartner werden mit Eheschließungen belohnt und hörig gemacht. Fallen sie in Ungnade, wird ein Autounfall arrangiert. Niemand kann dem Zorn des Doutor entgehen, Gnade lässt er niemals walten. Selbst Salazar, der tattrige Diktator, fügt sich seinem Urteil. Er steigt zum heimlichen Regenten Portugals auf, dem auch der zweite Weltkrieg und die darauffolgenden Kolonialkriege nichts anhaben können.

Erlösung gibt es nur in der Kunst

Niemand kann in diesem Geflecht Erlösung finden. Selbst, als eine wunderschöne Fadosängerin aus der Asche der Kleinstadt sich erhebt wie ein Phönix, bröckelt das lose Mauerwerk einer dekadenten Gesellschaft weiter. Während ihre Musik für die Ewigkeiten auf Schallplatten gebannt wird, ihre Stimme in Konzerthallen Menschen zu Tränen rührt und selbst der Senhor Doutor in ihrer Gegenwart erweicht, frisst sich ein gnadenloser Tumor durch ihren Körper und wandelt sie zu einer sich zersetzenden Mumie.

Dennoch ist sie, längst im Sterben begriffen, die Einzige, die ohne Bitterkeit auf ihr Leben zurückblicken kann. Ihre Musik, ihre Stimme, schützt sie vor den Niederungen des Lebens, die Tonstudios garantieren ewigen Glanz auch, als die Villa des Senhor Doutor mit der kitschigen Venusstatue im Garten längst dem Verfall preisgegeben ist. In der Gegenwart der Fadosängerin erstrahlt selbst bitteres Leid in sanftem Glanz, die Rosen im Wintergarten des Senhor Doutor beginnen, leise zu klirren.

Alte Wunden heilen nicht

Die Zerrissenheit einer Nachkriegsgesellschaft, die oft das gleiche sieht, doch ungleich handelt, spiegelt sich in den vielen Facetten, die in Lobo Antunes‘ Glaskugel aufblitzen. Leid macht unzufrieden, das Streben nach Wohlstand führt in einen Abgrund aus Kaltherzigkeit und Bosheit. Wer dem entgehen möchte, begibt sich in ländliche Armut oder stirbt. Demokratie und Rechtstaatlichkeit müssen erst noch geboren werden. Bis sie dieses Land heilen können, hilft nur der Fado.  

Dessen sehnsüchtige Trauer führt durch den Roman, der, wie in Liedstrophen verfasst, zwischen Ruinen an Strandpromenaden vom Wirken und Sterben längst vergessener Götter erzählt. Als weiser Strippenzieher schließt Antunes endlich den Vorhang des Weltentheaters und entlässt das Publikum in eine laue Abendstimmung. Wer genau hinschaut, erblickt den Obdachlosen, wie er wissend schweigend zwischen leeren Stühlen nach Schätzen sucht.

Titelangaben:

António Lobo Antunes: Vom Wesen der Götter.

Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann.

München: Luchterhand, 2018. 720 Seiten. 26 €.

Neu Gelesen

Guillaume Marinette: Mix your cake. Mixen, Backen, Kuchenglück.

Frida Skattberg: Schokosünden.

Sara Aasum Hultberg: Süße Karamellgeheimnisse. Basics, Ideen und 37 Rezepte für Toffee, Fudge & Co.

Le Cordon Bleu: Patisserie. Aus der renommierten Konditorschule. Schritt für Schritt erklärt.

 

 

Futter für die Seele

Und für das schlechte Gewissen. Denn bei Guillaume Marinettes Mix your cake. Mixen, Backen, Kuchenglück, Frida Skattbergs Schokosünden, Sara Aasum Hultbergs Süße Karamellgeheimnisse. Basics, Ideen und 37 Rezepte für Toffee, Fudge & Co und Le Cordon Bleus Patisserie. Aus der renommierten Konditorschule. Schritt für Schritt erklärt geht es um nichts Geringeres als den puren Genuss am Süßen, die Naschfreude per se. Glücklich, wer da noch widerstehen kann!

Wer kann schon mit Leichtigkeit „Nein“ sagen, wenn es um die leckersten Süßigkeiten der Welt geht? Ich beginne mit Guillaume Marinettes Mix your cake. Mixen, Backen, Kuchenglück.  Der Titel ist etwas missverständlich, tatsächlich geht es nämlich darum, Tartes zu backen. Und zwar alle. Von klassisch süß bis herzhaft, vegetarisch oder mit Fleisch, mit Schokolade oder Früchten. Für sein Grundrezept hat Marinette eine derart einfache Zubereitungsweise gewählt, dass die Tarte gelingen muss!

Einziger Nachteil: Man sollte einen Blender zur Verfügung haben, in welchen die Teigmischung geschüttet wird. Hat man aber selbigen im Küchenrepertoire, wird das Tartebacken zum Kinderspiel. Alle Zutaten werden vermischt und dann gebacken. Wie bei vielen Tartes ist eine kurze Ruhezeit angebracht, nach Marinette sogar ausschlaggebend für die typische Teigkonsistenz. Die Arbeitsschritte sind sehr einfach gehalten. Man bekommt dafür: ein handliches Backbuch, das alle denkbaren Gelüste abdeckt, von indisch mit Zucchini über Zwiebel & Ziegenkäse bis hin zum Klassiker mit Schokolade.

Perfekt für Naschkatzen

Sara Aasum Hultbergs Süße Karamellgeheimnisse. Basics, Ideen und 37 Rezepte für Toffee, Fudge & Co ist ideal für alle Küchenmagier mit süßem Zahn. Man braucht schon einen gewissen Antrieb, wenn man sich die komplexe Zutatenliste mit Malzsirup, Glucosesirup, Lakritzpulver usw. anschaffen möchte. Allerdings gibt es gerade bei den Trüffelrezepten und den Fudges auch genügend Rezepte, ohne einschüchternde Zutatenliste. Jedes Rezept ist kurzgehalten, wertvolle Tipps erleichtern das Nachmachen.

Wer seine Süßigkeiten selbst herstellt, bewegt sich gewiss in einer Nische. Aber in was für einer! Wenn Hultberg, selbst preisgekrönte Konditorin, Himbeertoffees mit weißem Schokoladenüberzug vorstellt oder Schokotoffees mit Minzzucker zubereitet, läuft das Wasser im Mund zusammen. Damit die Karamellproduktion auf jeden Fall gelingt, wird anfangs in einer kleinen Konditorenschule beschrieben, wie vorgegangen werden sollte. KochkünstlerInnen werden die vielfältigen Rezepte lieben und sich wahrscheinlich bald vor Bestellungen nicht mehr retten können.

Verführerische Schokolade

Frida Skattbergs Schokosünden ist nichts für jene, die gerne eine Diät machen würden. Sie backt „Klitschkuchen“, einen Schokoladenkuchen mit weichem Kern. Auch hier wird mit einem Grundrezept gearbeitet. Prinzipiell werden stets Butter und Schokolade geschmolzen und dann leicht abgekühlt mit den anderen Zutaten zu einem Teig verarbeitet. Abgekühlt wird fast immer im Kühlschrank, was garantiert, dass der Kuchen weich und saftig bleibt. Dann wird mit dem dekoriert,  worauf man gerade Lust hat.

Skattberg kreiert eine unglaubliche Anzahl an Schokokuchenvariationen, die auf dem gleichen, simplen Grundrezept beruhen. Die Varianten gehen von klassischen Kuchen bis hin zu „Lauwarmem Kuchen im Weinglas“, der mit einer Kugel Vanilleeis serviert wird, zu Fudgesandwiches und zu Klitschkuchentorten. Im Mittelpunkt steht dabei immer schokoladige Verführung.

Hohe Kunst des Naschens

Le Cordon Bleus Patisserie. Aus der renommierten Konditorschule. Schritt für Schritt erklärt entführt die Leser in die hohe Kunst der französischen Küche. Das Pariser Traditionshaus für weltoffenen Genuss hat ein Standardwerk für Konditoren und leidenschaftliche Hobbybäcker geschaffen. Das besondere daran ist die anschauliche Step-by-Step Erklärung der einzelnen Rezepte. Dabei wird das Kochbuch nicht nur dem traditionsverhafteten Ruf der Marke gerecht, sondern der Übertrag in den Alltag interessierter Laien gelingt perfekt.

Natürlich stimmt es nostalgisch, wenn Le Cordon Bleu sogar die „Schwarzwälderkirschtorte“ für würdig befindet, in das Mammutwerk aufgenommen zu werden. Darüber hinaus begeistern auch die Informationen zu Spritztechniken, Tipps und Tricks aus dem Konditoren Alltag und das umfangreiche Inhaltsverzeichnis. Wer den Spitzenköchen bei der Arbeit über die Schulter blicken möchte, kann dies in den detaillierten, oft mehrseitigen Bildanleitungen tun. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, Le Cordon Bleu hat mit der Patisserie die Bibel der Konditoren verfasst!

 

Titelangaben:

Guillaume Marinette: Mix your cake. Mixen, Backen, Kuchenglück.

Ostfildern: Thorbecke Verlag, 2020. 72 Seiten. 12 €.

Sara Aasum Hultberg: Süße Karamellgeheimnisse. Basics, Ideen und 37 Rezepte für Toffee, Fudge & Co.

Münster: LV-Buch, 2016. 112 Seiten. 6,97 €.

Frida Skattberg: Schokosünden.

Münster: LV-Buch, 2019. 96 Seiten. 16 €.

Le Cordon Bleu: Patisserie. Aus der renommierten Konditorschule. Schritt für Schritt erklärt.

Münster: LV-Buch, 2019. 512 Seiten. 68 €.

 

 

 

 

 

 

 

Neu Gelesen

Roswitha Paetel: Papier, Pappe, Pulp. Kreatives Gestalten mit Kindern.

Antje und Susann Rittermann: Werkstatt Schnitzen. Techniken und Projekte für Kinder.

Katrin Regelski: Werkstatt Skulptur. Gestalten mit Ton, Stein, Gips, Papier, Metall und Holz.

 

Nie wieder Langeweile

Unsere Pfingstferien mögen zwar hie und da verregnet sein, langweilig sind sie auf keinen Fall. An Tagen, an denen Planschbecken und Obstwiese keinen Unterhaltungswert haben, gehen wir in die Werkstatt. Mit Roswitha Paetel gestalten wir mit Papier, Pappe, Pulp. Kreatives Gestalten mit Kindern, das Obstwiesenholz wird verarbeitet mit Antje und Susann Rittermanns Werkstatt Schnitzen. Techniken und Projekte für Kinder und größere Projekte für Haus und Garten realisieren wird mit Katrin Regelskis Werkstatt Skulptur. Gestalten mit Ton, Stein, Gips, Papier, Metall und Holz.

Was will man mehr? Die tollen Werkbücher aus dem Haupt-Verlag lassen keine Wünsche offen. Die Buchgestaltung ist gewohnt wertig gehalten, die Projekte sind allesamt realisierbar und gut erklärt und zwar auch dann, wenn man nicht wie wir im Keller eine große Werkstatt zur Verfügung hat. Alle Autorinnen sind Künstlerinnen in ihrem Fach und man merkt den routinierten Umgang mit dem Material genauso wie die Fähigkeit, alle Projekte auf ein Kinderniveau herab zu brechen.

Think Big!

Katrin Regelski räumt endlich auf mit den Klein-Klein-Basteleien in Kinderkursen. Skulpturen dürfen alles sein, auch riesengroß und auch vergänglich. Besonders die Landart -Beispiele eignen sich, im Rahmen von Geburtstagsfeiern oder ausgedehnten Spaziergängen umgesetzt zu werden. Wind und Wetter geben diesen großen Skulpturen aus Treibholz und Steinen einen besonderen Reiz, ihre Vergänglichkeit macht den Moment der Gestaltung zu etwas besonderem.

Besonders toll finde ich, dass Kinder an hochwertiges Material genauso dürfen wie an ordentliches Werkzeug. Ab zehn Jahren können Kinder unter Aufsicht durchaus mit Standbohrmaschinen, Alabaster und Blechscheren hantieren. Die Kunstwerke, die daraus entstehen, sind beeindruckend und erfüllen die jungen Künstler mit berechtigtem Stolz. Wer sagt, dass Kinder nur zeichnen und falten dürfen?

Schönes Material

Holz ist doch das schönste Material der Welt! Und man findet es bei jedem Spaziergang. Welches Kind hat noch nie einen Stock vom Weg aufgehoben und ihn mit nach Hause gebracht? Antje und Susann Rittermann lassen sich in ihrem Schnitzbuch auf die Eigenheiten besonders von gefundenem Holz ein. Sehr hilfreich ist dabei ein kleiner Fundholzguide, der den Kindern sagt, ob ihr Holzstück zum Schnitzen geeignet ist oder nicht. Allein diese zwei Seiten sind das ganze Buch wert!

Rittermann schafft es wunderbar, den Kindern aufzuzeigen, wie sie ihr Schnitzwerk im Holzstück sehen und später herausarbeiten. Dabei werden viele Techniken aufgezeigt, selbst Relieftechniken. Eine kleine Holzkunde zeigt Vor-und Nachteile bestimmter Holzarten auf und gibt wertvolle Tipps für den Finder. Besonderen Wert wird dabei auf ökonomische Schnitztechniken gelegt, also auf maximalen Output bei wenig Kraftaufwand. Gerade für jüngere Kinder ist das ideal.

Bestes Alltagsmaterial

Wer die ästhetischen amorphen Werke von Roswitha Paetel kennt, muss schmunzeln, wenn man sieht, wie sie ihre eigene Vision für Kinder umsetzt. Haptik ist gefragt, Sinnlichkeit, Lebensfreude. Kinder jeden Alters dürfen hier in verschiedenen Schwierigkeitsstufen mit meinem absoluten Lieblingsmaterial arbeiten. Es entstehen geschöpfte Duftpapiere, bedruckte Schachteln, Schattentheater mit dramatischen Figuren, Masken aller Art, Mobiles und Tierskulpturen.

Ohne Wertung, ohne Zeitdruck geht es hier ums Tun im Hier und Jetzt. Paetel beschreibt anschaulich, wie entspannend die Arbeit auf die Kinder ihrer Kurse wirkt, wenn man die fertigen, fröhlichen Werke sieht, glaubt man dies gern. Für alle, die eher Respekt vor dem Basteln haben, sei gesagt, dass es nicht um professionelles Arbeiten mit Pulp geht. Es geht um die Freude am Werken mit einem uralten Material. An die Arbeit!

 

Titelangaben:

Katrin Regelski: Werkstatt Skulptur. Gestalten mit Ton, Stein, Gips, Papier, Metall und Holz.

Bern: Haupt Verlag, 2017. 184 Seiten. 24,90 €.

Roswitha Paetel: Papier, Pappe, Pulp. Kreatives Gestalten mit Kindern.

Bern: Haupt Verlag, 2018. 208 Seiten. 24,90 €.

Antje und Susann Rittermann: Werkstatt Schnitzen. Techniken und Projekte für Kinder.

Bern: Haupt Verlag, 2019. 176 Seiten. 24,90 €.

 

Neu Gelesen

Sofia Antonsson: Endlich entspannt essen! Gesunde Ernährung für einen Darm in Balance.

Lynn Hoefer: Einfach himmlisch gesund. Natürliche und schnelle Rezepte für das echte Leben.

Angela Liddon: Oh she glows für jeden Tag. Schnelle Gerichte, die einfach satt und glücklich machen.

 

Sommergerichte bunt und gesund

 

An sich ist es für meine Kinder eher eine Drohung, wenn ich ankündige, dass es heute etwas Gesundes zu essen gibt. Auch Diätessen hat gemeinhin etwas frustig Graues. Natürlich ist das dieses Mal nicht so, sonst hätte ich keinen Anlass zu schreiben. Sofia Antonsson widmet sich in Endlich entspannt essen! Gesunde Ernährung für einen Darm in Balance dem Reizdarmsyndrom, unter dem immer mehr Menschen, vor allem Frauen, leiden.  Lynn Hoefer beschreibt in Einfach himmlisch gesund. Natürliche und schnelle Rezepte für das echte Leben, wie sie es schafft, sich pflanzenbasiert und nachhaltig zu ernähren, ohne sich zu sehr unter Druck zu setzen. Angela Liddon begibt sich in Oh she glows für jeden Tag. Schnelle Gerichte, die einfach satt und glücklich machen auf das nächste Level der veganen Ernährung.

Was allen drei Rezeptbüchern gemeinsam ist, ist eine grundlegende, strukturierte Vorratshaltung, die jeweils empfohlen wird, um stets gut kochen zu können. Tatsächlich kann eine Großfamilienmutter wie ich bei derartigen Ratschlägen nur gähnen. Natürlich muss man Vorrat halten! Wie sieht es aber in kleinen Familien aus oder in Single-Haushalten? Was hält sich wie lange? Liddon gibt hier wertvolle Tipps, die gut umzusetzen sind.

 

Der kleinste gemeinsame Nenner

Lynn Hoefer eignet sich für alle, die gar nicht den Nerv haben, sich groß mit ideologischem Unterbau und ausgefallenen Rezepturen auseinanderzusetzen. Das Kochbuch ist sehr sympathisch und unkompliziert verfasst, die schönen Fotos machen richtig Lust aufs Kochen. Die Rezepte gliedern sich in Vorratshaltung, z.B. Gewürzmischungen oder Kimchi, in schnelle Frühstücksrezepte, vor allem mit Müslis, in schnelle „Lieferservice“ – Gerichte, Gerichte, die innerhalb von dreißig Minuten gekocht werden können, in „Zero-Waste“ Gerichte, Meal-Prep -Gerichte und aufwändigere Gerichte fürs Wochenende.

Besonders nett finde ich die feinen Abstufungen in den Rezepten. Nichts ist „extraordinaire“, aber alles sehr dezent und lecker. Ist es nicht schön, einen Unterschied machen zu können zwischen einem Mittwochsmüsli und Sonntagsbrunch? Zero – Waste in der Küche heißt natürlich Resteverwertung, aber das macht nichts. So muss man sich seine Restefeste wenigstens nicht selbst ausdenken. Die Meal-Preps tragen unserem schnellen Zeitalter Rechnung. Oft wird Reis, Quinoa oder Hirse vorgekocht und separat zu Saucen eingefroren. Ideal, oder?

Spezialküche für gestresste Menschen

Sofia Antonsson richtet sich dagegen mit Endlich entspannt essen! an eine sehr spezielle Peergroup. Menschen mit Reizdarmsyndrom leiden unter vielen verschiedenen Symptomen, Stress macht die Erkrankung meist nicht besser. Da die Symptome so unspezifisch sind, geraten die Patienten oft in einen Strudel aus Diäten und Medikamentencocktails, ohne wirklich Erleichterung zu finden. Antonsson greift auf eine Ernährungsumstellung zurück, die FODMAP Methode, die sie in vegetarischer Form präsentiert.

Man sollte sich also vielleicht schon ein bisschen auskennen mit dieser Diät, wenn man Antonssons Rezeptbuch zur Hand nimmt oder zumindest eine gewisse Liebe zum Detail zeigen. Nicht in jeder Phase der Diät kann alles gegessen werden. Proteinquellen sind zwar immer angegeben, aber insgesamt liest die Diät sich etwas umständlich, wie wahrscheinlich alle Diäten. Die Rezepte, wie Zitronenrisotto, Auberginen-Linsencurry oder Pasta mit Quorn (vegetarisches Hackfleisch), hören sich dagegen alle so lecker an, dass ich mich frage, ob man nicht auch einfach den Diätteil überlesen könnte, wenn man keinen Bedarf danach hat.

Haute Cuisine im Alltag

Angela Liddon behauptet ja, ihre Rezepte seien im Nu nachgekocht und absolut alltagstauglich. So hübsch und jugendlich wie sie da steht, mit einem Kleinkind und einem strahlenden Ehemann, ist mir das alles zu klischeehaft. Allerdings ist sie sehr strukturiert im Vorgehen, zum Thema Vorratshaltung und Grundrezepte sind ihre Tipps die umfangreichsten. Zudem hat sie für ihre Rezepte viele Labels wie „kinderfreundlich“ oder „tiefkühlgeeignet“ kreiert, die einem die Orientierung erleichtern.

Liddon hangelt sich ebenfalls mit den Tagesmahlzeiten durchs Buch. Aus dem Rezeptregister stechen vor allem die Smoothies heraus, genauso wie Riegel und hausgemachte Vorräte. Das hört sich sehr alltagstauglich an! Allerdings schrecken ellenlange Zutatenlisten mit solch erwählten Ingredienzen wie Kokoswasser, Matchapulver, Mandelmehl und Sonnenblumenkernmus eher ab. Kein Wunder, dass sich vorn im Buch auch ein Bestellcoupon befindet.

 

Man könnte sagen, mit den drei Kochbüchern kann man sich auf verschiedenen Leveln der pflanzlichen Küche bewegen. Wer schon versierter ist oder spezielle Interessen oder Probleme hat, wird garantiert fündig. Aber auch für alle, die wie ich am Bodensatz der vegetarischen Küche kratzen, finden sich gerade bei Lynn Hoefer viele alltagstaugliche und schnell umsetzbare Gerichte. Der Pflanzensommer kann kommen.

 

Titelangaben:

Lynn Hoefer: Einfach himmlisch gesund. Natürliche und schnelle Rezepte für das echte Leben.

Ostfildern: Thorbecke Verlag, 2020. 248 Seiten. 28 €.

Sofia Antonsson: Endlich entspannt essen! Gesunde Ernährung für einen Darm in Balance.

Ostfildern: Thorbecke Verlag, 2019. 144 Seiten. 25€.

Angela Liddon: Oh she glows für jeden Tag. Schnelle Gerichte, die einfach satt und glücklich machen.

Kandern: Unimedica Verlag, 2017. 380 Seiten. 29€.

 

 

 

 

Frühling zuhause

Es ist erleichternd, wenn die Sonne scheint und wir nach draußen können. Noch haben wir keinen Lagerkoller, aber das ist in einem großen Haus mit Garten selbst bei vier Kindern schlecht möglich. Wir sind sehr privilegiert. Das wird mir jeden Tag mehr bewusst. Für den Fall, dass wir nach draußen müssen, steigen wir in der Garage ins Auto und fahren auf die Obstwiese. Dort können wir draußen sein und arbeiten, ohne einem anderen Menschen zu begegnen.

Ich finde diese Tage und Wochen in einem Ausmaß seltsam und bedrohlich, dass ich unmerklich viele Routinen geändert habe. Am auffälligsten meine Seriengewohnheiten. Ich sag jetzt mal nicht, welche Serien eher aus meinem derzeitigen Raster rausfallen.

Gleichzeitig freue ich mich über jedes kleine Wunder, das sich zeigt und dieses Tristesse durchbricht. Samen, die aufgehen, meine Keramikgänse und Ollas aus dem Keramikkurs im Herbst, die endlich nach draußen können, die Tatsache, dass ich genau die passende Anzahl von Kissen für meine weiße Bank genäht habe. Während ich mir denke, wie gut es sich hier aushalten lässt, frage ich mich: wie lange noch? Und dann?

Ich hoffe sehr, dass jetzt auch die Zeit ist, in der endlich alle erkennen, dass Leistungsträger in unserer Gesellschaft nicht immer die mit dem größten Auto sind. Ich lerne einen Gesundheitsberuf. Nächstes Jahr im Herbst bin ich mitten im Geschehen. Vielleicht, wenn alles gut geht.

Mein Laden ruht, so wie vieles andere. Das tut ganz gut zur Abwechslung. Ich habe Zeit, zu renovieren und endlich alles richtig schön zu machen. Hoffentlich gelingt mir alles.

Am schönsten ist es, wenn die Kinder ihren Humor nicht verlieren. Friederike hat in der Nacht zum ersten April die Küche verwandelt. Was für eine Bomben-Idee!

Bleibt gesund.

Verlinkt mit Creadienstag.

 

Neu Gelesen

Claudio Del Principe: A Casa. Gut kochen. Besser essen. Jeden Tag.

Leila Lindholm: Meine Rezepte für die ganze Familie.

Joanna Gaines: Magnolia Table.

Gemeinsam sind wir unterschiedlich

 

Es ist unheimlich, in diesen Tagen Rezensionen für Kochbücher zu schreiben. Allen, die mich für wahnsinnig halten, kann ich begegnen: Es ist wahnsinnig. Die Welt fliegt uns um die Ohren. Und ich sollte nicht schreiben müssen, was ich nun sage. Dass die Welt, wie wir sie kennen, schon lange nicht mehr existiert. Dass in diesem Szenario ein Virus nur ein Teil ist. Klimawandel und Globalisierung sind ein weiterer Teil. Deshalb schreiben Autoren wie Claudio Del Principe, Leila Lindholm und Joanna Gaines Bücher vom idyllischen Leben mit Selbstgekochten. Deshalb verschlingen wir Leser Bücher wie A Casa, Meine Rezepte für die ganze Familie oder Magnolia Table.

Wir verstehen die Welt nicht mehr. Alle sind hilflos. Es ist die Umkehrung aller Werte. Schon verrückt, wie bewusst uns plötzlich wird, welch beeindruckende Arbeit VerkäuferInnen, KrankenpflegerInnen, Ärzte und Ärztinnen und ZustellerInnen leisten. Schämen wir uns ruhig. Vergessene Berufe gelangen neu ins Bewusstsein. Die Leistung dieser Menschen ist unglaublich. Nichts passt mehr, Wohlstand und Reichtum wirken obszön.

Sehnsucht nach dem Guten

Es ist die Sehnsucht nach dem Glück der Kindheit, verbunden mit Geschmäckern, Düften und Gerüchen, die Menschen immer wieder in die Küche treibt. Liebe geht durch den Magen, auch die Selbstliebe. Das ungewöhnlichste der drei Kochbücher ist jenes von Claudio Del Principe, einem Schweizer Blogger mit einer ungebrochenen Leidenschaft für gutes Essen, der seinen Blog in Buchform herausgegeben hat.

 

Darin geht es um eben jenes gute Essen, das Zeit und Weile und Zuwendung braucht, dann aber auch unschlagbar gut schmeckt. Er hütet seine Mutterhefe wie ein neugeborenes Baby, wenn er Pasta macht, gerät er in Verzückung. Es sind nicht einmal die Rezepte, die das Lesevergnügen bestimmen, sondern die unverkennbare Leidenschaft für gutes Essen, die aus jeder Buchseite spricht. Claudio Del Principe ist ein Glückspilz, er kann seine Leidenschaft zum Beruf machen und sich jede Zeit der Welt dafür nehmen. Wir anderen sollten uns von diesem Glück waghalsig etwas stehlen.

Gutes für alle

Leila Lindholm hat wie Claudio Del Principe zwei Kinder. Wie er möchte sie für ihre Familie gut kochen. Dabei passt sie sich viel mehr dem aktuellen Lifestyle an. Sie hat damit ein eher klassisches Kochbuch verfasst, dass mit seinen schönen Bildern vom Bullerbü Leben der Familie verführt. Das Tolle am Buch: Kleine Fähnchen kennzeichnen die Rezepte, falls sie glutenfrei, laktosefrei, vegetarisch, ohne Nüsse oder vegan etc. sind.

Damit findet jeder, was ihm schmeckt. Gerade in großen Familien geht es oft genau darum. Selten habe ich Tage, an denen ich etwas koche, das allen schmeckt. Typischerweise habe ich in meiner Familie eine Vegetarierin, einen Karnivoren, eine Laktoseintolerante, einen, der nichts Süßes mag und so weiter.  Meistens gibt es so eine Art Modulessen, die Reste der Vortage bilden mit Frischgekochtem ein buntes Buffet an Leckereien. Dank Lindholm kann ich jetzt glutenfreie Bananenpfannkuchen, Chia – Knuspermüslis, Scones und selbstgemachten Mandelaufstrich zum Frühstück kredenzen.

Küstenessen

Gefühlt gibt es viel Fisch bei Leila Lindholm, eine Spezialität, die ich aus Bayern außerhalb der Forelle kaum kenne. Gut für alle, die in Küstennähe wohnen! Aber auch viele Thai- und Vietnamesische Gerichte mit und ohne Fleisch erinnern daran, dass auch Kinder gerne trendig essen. Lindholm macht weniger selbst als Claudio Del Principe, aber auch bei ihr wird fast alles von Hand gekocht. Das gefällt mir gut, ich bin der festen Überzeugung, dass jedes selbst gekochte Essen noch einmal besser schmeckt.

Dabei scheut sie nicht vor außergewöhnlichen Rezepten, wie z.B. Wassermelonenpizza oder Carpaccio von roten Beten zurück. Zwischendurch plaudert sie aus dem Nähkästchen und betont, wie wichtig es ist, dass Biolebensmittel gekauft werden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass dies schon fast reflexhaft geschieht, vor allem vor Fleisch- und Fischgerichten. Dabei muss sie sich nicht dafür entschuldigen, dass sie kein rein vegetarisches Kochbuch geschrieben hat.

South American Life Style

Joanna Gaines, die mit ihrem Mann Chip das Lifestyle Restaurant Magnolia in Waco, Texas betreibt, teilt in diesem Kochbuch Lieblingsrezepte ihrer Großfamilie. Der Riesenvorteil an den Rezepten ist natürlich, dass sie alle nicht nur großfamilientauglich sind, sondern meisten, wie Scones, Tacos oder Burger, auch beliebt. Mich alte Selbermacherin stört tatsächlich, dass Gaines dabei oft auf Fertigteige oder Fertigsaucen zurückgreift. Ich weiß, dass Brotbacken in den Vereinigten Staaten keine große Tradition hat, aber Pizza….

 

Dafür habe ich endlich ein Rezept für grüne Tomaten. Wer wie ich das Buch  in den 90ern gelesen hat, wird begeistert sein. Das Kochbuch strotzt vor Rezepten aus dem amerikanischen Süden, gespickt mit asiatischen Einschlägen. Ein Meltingpot, wie er im Buche steht. Nicht immer habe ich Chancen, an alle Zutaten zu gelangen, z.B. an die „Himbeer-Chipotle-Sauce“, was immer das auch sein mag. Dafür gibt es gerade im Dessert -Teil viele Rezepte mit Hand und Fuß, die um Nachahmung flehen. Fudge- Sauce, Schokoladen-Cola -Kuchen (die Traumkombi meiner Jungs) und Brotpudding sind schon gesetzt. Guten Appetit!

 

Titelangaben:

Claudio Del Principe: A Casa. Gut kochen. Besser essen. Jeden Tag.

Aarau: AT-Verlag, 2017. 320 Seiten, 39,90€.

Leila Lindholm: Meine Rezepte für die ganze Familie.

Köln: Fackelträger Verlag, 2016. 240 Seiten, 9, 99€.

Joanna Gaines: Magnolia Table.

Kandern: Unimedica Verlag, 2019. 344 Seiten. 29,90€.

 

 

Pause

Plötzlich ist alles anders. Und ich habe eine kurze Pause und Zeit, Dinge zu fotografieren. Während das soziale und öffentliche Leben pausiert, geschieht zuhause so viel. Ich möchte die Zeit nutzen, für uns alle. Wie macht Ihr das?

Viele Körbe standen in der Ecke und warteten darauf, fertig geflochten zu werden. Heute habe ich den ersten davon beendet.

Bei meinen Kindern ist von heute auf morgen Homeschooling angesagt. Es war nicht ganz einfach, ihnen zu erklären, dass sie trotz Schulausfall lernen müssen. Auch ich muss das und hab heute schon ein paar Stunden gearbeitet.

Noch gibt es keine Ausgangssperre. Ich nutze die Zeit und fahre mit den Kindern zur Obstwiese. Die Bäume werden endlich geschnitten, mein Dritter konnte seinen ersten dicken Ast absägen und ist unglaublich stolz. Welch ein Segen, dass wir nach draußen können.

Geburtstage feiern wir dieses Jahr wohl anders, die großen kirchlichen Feiern meiner Ältesten und meines Jüngsten entfallen. Ob ich die Altarkerze, die ich im Auftrag angefertigt und entworfen habe, überhaupt verkaufen kann? Nichts bleibt, wie es ist.

Neu Gelesen

Philipp Blom: Bei Sturm am Meer.

 

Flaute in der Seele

Was geschieht, wenn eine intensiv gelebte Existenz sich mit einem Mal in Rauch auflöst und erlischt? Philipp Blom erzählt in Bei Sturm am Meer von vertanen Chancen, Lebenslügen und Sackgassen, in die sich Ben, Marketingspezialist in der Wiener Museenlandschaft, laufend hineinmanövriert. Zwischen Vätern, die keine sind und solchen, die keine werden, laviert sich der schlaffe Protagonist durch sein vergeudetes Leben. VIOLA STOCKER betrachtet ein Feuer, das in sich erstickt.

Ben kommt nach Amsterdam, um der Urnenbeisetzung seiner Mutter Marlene beizuwohnen. Die Inhaberin eines Kunstbuchhandels war nach langer Krankheit verstorben, am Grab trifft er eine für ihn unbekannte ältere Dame. Eine Begegnung, die eine Lawine an Geschehnissen auslöst, in deren Verlauf sein Leben auf den Kopf gestellt wird. Die folgenden Ereignisse protokolliert er für seinen Sohn Sascha.

Ein Leben in Unaufrichtigkeit

Philipp Blom konstruiert ein Netzwerk an Existenzen, die sich alle durch grundlegende Unaufrichtigkeit auszeichnen. Bens Brief an seinen vierjährigen Sohn, den er ihm erst in vierzig Jahren zukommen lassen will, soll als roter Faden durch die Erzählung führen und dient dem Protagonisten gleichzeitig als Rechtfertigung für das eigene Versagen. Denn das ist es.

Ben lernt seinen Vater nie kennen. Der gefeierte Hamburger Journalist ist für eine Recherche in Südamerika unterwegs und verschwindet spurlos während dortiger politischer Unruhen. In Deutschland wird er bald für tot erklärt. Bens Mutter erzählt ihrem Sohn die Geschichte des unerschrockenen Helden, an der der junge Ben selbst scheitern muss. Doch Bloms Gespinst umfasst noch mehr Personen und Schicksale.

Lebenslang verstrickt

Bens Mutter Marlene ist das Kind einer schönen, alleinerziehenden Hamburger Büroangestellten, die Zeit ihres Lebens von Ruhm und Reichtum träumt und doch einen faden Amsterdamer Privatier heiratet, um der unehelichen Tochter ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Unmengen an Make-Up, Alkohol und eine Affäre mit dem benachbarten Künstler können Großmutter Elly nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihr Leben verpfuscht ist.

Marlene ihrerseits zeigt sich nicht in der Lage, den Anforderungen der gescheiterten Mutter zu entsprechen. Die schöne junge Frau beginnt ein Studium, das sie nie abschließt, weil sie Bens Vater Henk aus Hamburg kennenlernt, der wild und freiheitsliebend ist und der extremen Linken in Deutschland nahesteht. Sie wiederholt den Fehler ihrer Mutter, wird schwanger und heiratet Henk.

Brüche und Kollagen

Bloms Roman spielt in intellektuellen Zirkeln Hamburgs, Amsterdams und Wiens. Kollagenhaft überlagern sich oft die Eindrücke, zusammengehalten vom Brief an den Sohn, der ihn jetzt noch nicht verstehen kann. Gescheiterte Beziehungen wollen erlernt sein, scheint Blom zu sagen, denn Ben, dessen Ehe mit der distanzierten Wissenschaftlerin Xenia längst erkaltet ist, begeht den gleichen Fehler wie die Frauen seiner Familie.

Er begibt sich in ein Netz aus Lügen und verzweifelten Brüchen. Am Grab seiner Mutter lernt er Clara kennen und erfährt, dass sein Vater lebt. Alt und dement, ganz in der Nähe. Bens Welt bricht zusammen, seine Mutter hatte ihn angelogen, um ihre eigene Bitterkeit zu ersticken. Henk hatte Marlene für Clara verlassen. Seine Mutter hatte eine Festung aus Lügen errichtet, in der sie sich versteckt hatte. In einer Welt aus Illusionen war sie schließlich, ähnlich seiner Großmutter Elly, verstorben.

Es gibt kein Glück

Man wartet in diesem Roman umsonst auf den Moment, in dem der Protagonist die Lügengebilde erkennt und niederreißt. Ben entdeckt in Amsterdam ein Plakat für eine Ausstellung, auf dem er als junger Mann nackt abgebildet ist. Seine erste große Liebe, eine lokale Künstlerin, hatte es gemalt. Was für Ben einzigartig und der alleinige Zugang zur Kunst ist, entpuppt sich in der Ausstellung als nur ein Aspekt unter vielen. Ben ist nur ein Motiv, das gemalt wird, in der Galerie sind die anderen Portraits junger Männer in Schubladen verstaut, weil es ihrer zu viele gibt.

Es wäre nun der Punkt, Tabula Rasa zu machen und in Ehrlichkeit neu anzufangen. Stattdessen flüchtet Ben sich in eine neue Affäre mit der Künstlerin Rachel, sie malt ihn ein zweites Mal. Trotzdem kehrt Ben am Ende zu seinem Sohn zu zurück, mit einem Brief, den er ihm erst in vierzig Jahren geben wird, in ein Leben voller Lügen, zu einer Frau, die ihn nicht liebt, um sie vielleicht für ein Angebot aus Paris zu verlassen. Die zweite Zeichnung zeigt ihn als alternden Mann, untertitelt mit »Leichnam«.

Es stürmt nur innen

Bloms Erzählmodus bleibt lakonisch und distanziert. Bisweilen scheint die Leidenschaftslosigkeit von Bens Ehe auf den Schreibstil des Autors überzugehen. Drei Generationen einer deutschen Lüge, Flucht vor dem Selbst, wobei die sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingen nur Kulisse auf dieser Seelenschau sind. Die aufwändig konstruierte Story um den reisenden Journalistenvater, die bühnenverliebte Großmutter, den Ruf einer Pariser Werbeagentur, wirkt manchmal etwas sehr gewollt.

Dabei geht es um persönliches Scheitern, um ein familiäres Erbe, das man nicht einfach abstreifen kann, um die Unmöglichkeit, ein Leben in Aufrichtigkeit zu führen. Werden Beziehungen nur durch Lügen am Leben gehalten? Ben ist ein Antiheld, sein Scheitern, sein stilles sich Entfernen am Schluss des Romans hinterlässt nur Fragen, keine Antworten. Es herrscht Windstille in der Liebe.

Titelangaben:

Philipp Blom: Bei Sturm am Meer.

Wien:  Verlag Zsolnay, 2016. 224 Seiten. 20 €.

 

Neu Gelesen

Höner, Guido, Bengsch, Noemi: Entdecke mit uns den Bauernhof.

Eder, Sigrun und Gottlieb: Fantatiere.

Kaiblinger, Sonja, Bertrand, Fréderic: Vincent flattert ins Abenteuer.

Holzapfel, Falk: Böse Brummer.

Hudek: Marc: Ich schwöre!

Trueit, Trudi: Die Feder des Falken.

Unterhaltsame Kinderlektüre für graue Regentage

Die Sturmwarnung trifft uns gottseidank nicht unvorbereitet. Selbst wenn niemand morgen zur Schule gehen kann, wird uns bestimmt nicht langweilig. Für alle meine Kinder habe ich dieses Mal Lektüre zur Hand. Höners und Bengschs Entdecke mit uns den Bauernhof ist ideal für Erstleser und Bauernhofverliebte, in Eders Fantatieren gibt es unglaubliche Einblicke in die Tierwelt. Sonja Kaiblinger und Fréderic Bertrand wagen sich mit Vincent flattert ins Abenteuer in die Welt der Grafic Novel, genauso wie Falk Holzapfel mit Böse Brummer. Spannend und futuristisch zugleich schreibt Trudi Trueit in Die Feder des Falken und meine Große freut sich über politische Lektüre von Marc Hudek in Ich schwöre!

Cruz Coronado aus Die Feder des Falken hat seine Mutter verloren. Das ist ein schlimmes Schicksal, das nicht nur ihn betrifft, sondern viele Kinder auf dieser Welt. Doch Cruz‘ Mutter war eine besondere Frau. Die Wissenschaftlerin hat als Pharmazeutin in einem geheimen Labor gearbeitet und eine Formel entwickelt, mit der alle Krankheiten der Welt geheilt werden können. Die Pharmafirma wollte aber nicht ihren Monopolstatus verlieren uns so kam Frau Coronado auf mysteriöse Weise ums Leben. Zuvor aber konnte sich noch die Teile der Formel quer über den Globus verteilt verstecken.

Der Krimi ist ideal für Kinder, die sich für Wissenschaft und Forschung interessieren, schließlich wird er auch von National Geographic herausgegeben. In der futuristischen Welt besucht Cruz eine Eliteschule, die einen Forschungstörn absolviert und ist in der Lage, mit unzähligen Gadgets zum Beispiel mit Walen zu kommunizieren. Der Forscherkrimi ist eine Mischung aus James Bond und Star Trek, tatsächlich aber werden im Anhang viele der Inhalte auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft oder echte Helden dargestellt. Toll für jene, die mehr wissen wollen!

Grafic Novels für Grundschüler

In der Szene haben sich für Erwachsene Grafic Novels längst als Kunstform etabliert. In der Kinderbuchecke vegetieren sie noch zwischen Comic und Bilderbuch. Dabei haben sie so viel mehr zu bieten. Das zeigt auch Falk Holzapfel mit Böse Brummer. Dabei bewegt sich die Story von den zwei übermütigen Jungs, die in einer futuristischen Stadt alle Verbote missachtend in die gefährliche Region unter der Erde absteigend, herrlich humoristisch zwischen Jules Verne und den Barbapapas.

Steven und Piet überschätzen sich natürlich maßlos und geraten ab sofort in unüberwindbare Schwierigkeiten mit überdimensionierten Insekten, den Bugs. Gottseidank entpuppen sich gerade die gruseligsten Monster als süße Kuscheltiere. In einer von Menschen zerstörten Umwelt erkunden die zwei Freunde unterirdische Katakomben und entdecken neben riesigen Insekten auch noch beleidigte Roboter und die Helden ihrer Schulzeit. Schade fast, dass die kurzweilige Grafic Novel so leicht an einem Abend durchzulesen ist.

Schaurig schöne Freundschaft

Vincent hat es schwer. Die Katze jagt ihn, das Tor zur Geisterwelt ist verschlossen und obwohl er eine Halb-Geisterfledermaus ist, hat er keine Ahnung, wie er sich unsichtbar machen soll. Polly, der Poltergeist und die kluge Eule Beule wissen, was da zu tun ist: Vincent braucht einen richtig guten Freund. Doch es stellt sich heraus, dass ein guter Freund gar nicht so einfach zu finden ist. Zwar malt Beule den perfekten Steckbrief, aber es melden sich nur Versager.

Das Eichhörnchen räumt alles voll mit Nüssen, die Ente will nur baden. Niemand weiß, wie man mit einer übergewichtigen, übellaunigen Katze fertig wird. Da schleppt Beule auch noch ein Mehrschweinchenmädchen an. Vincent ist fast am Verzweifeln. Fritzi, das Mehrschweinchen ist viel zu süß, um es mit der Katze aufzunehmen. Doch was geschieht, als das Katzenvieh wieder einmal Vincent das Leben schwer machen will? Fritzi entpuppt sich als Halbgeistertier. Freunde, so die Moral, finden sich manchmal da, wo man sie gar nicht sucht.

Launen der Natur

Die Fantatiere sind ein perfektes Vater- Tochter- Projekt. Sigrun und Gottlieb Eder pflegen gemeinsam ihre Leidenschaft für die Natur. Das kreative Malbuch vereint naturwissenschaftliche Fakten mit den fantasievollen Bildern der Kinder. Natürlich haben wir uns alle schon einmal gefragt, ob der Eisbär sich von Eis am Stiel ernährt, die Haubentaucher besonders schöne Mützen tragen oder die Uhrforelle immer weiß, wie spät es ist.

Wer mag, kann mit den fantastischen Zeichnungen eintauchen in die Welt der kuriosen Tiernamen und sich mit vielen Buntstiften die Zeit vertreiben. Dabei finde ich besonders toll, dass sich das kleine, kompakte Malbuch so gut zum Mitnehmen eignet. Langwierige Zugfahrten, Autofahrten oder öde Kaffeeklatschnachmittage bei viel zu alten Erwachsenen lassen sich so gut ertragen. Wer mag, findet im Malbuch genügend Platz, um auch das eine oder andere eigene Fantatier zu malen, nichts ist unmöglich!

Landidylle in echt

Guido Höner und Noemi Bengsch erzählen in Entdecke mit uns den Bauernhof erfrischend authentisch vom Leben auf dem Land. Während viele Kinderbücher dazu tendieren, das Bauernleben zu archaisieren und zu verniedlichen, geht es hier einmal nicht um Blumenpflücken und Küken streicheln. Unsere Landwirtschaft wird dargestellt, wie sie ist, mit all ihrer maschinenlastigen Modernität.

Trotzdem ist alles hell und freundlich gezeichnet, der Dünger, der ausgebracht wird, ist gar nicht schlimm, Marike und Julius fassen ihn auch an und düngen damit ihr Kinderbeet. Das Buch schwankt zwischen Kinderidylle und schamlosen Lobbyismus für die industrielle Landwirtschaft. Nur manchmal ahnt man, dass es auch anders gehen kann. Wenn zum Beispiel am Rand erwähnt wird, dass Biobauern viel mehr arbeiten müssen oder dass es Menschen gibt, die keine Tiere schlachten möchten. Ich finde es dennoch ein sehr informatives Kinderbuch, das bis weit ins Grundschulalter hinein geeignet ist zum Vorlesen und Selberlesen. Hoffentlich fühlt sich auch einmal ein Biobauer angeregt, mit einem Kinderbuch zu kontern.

Freundschaftsbande

Lenny Baumeister ist zwanzig Jahre als, studiert Sport und ist insgesamt durch bedingungslose Mittelmäßigkeit gekennzeichnet. Das Abi hat er irgendwie geschafft und Sportpädagogik schleppt er vor sich hin, er kümmert sich gutmütig um seine Freunde, aber für eine Freundin ist er zu unspektakulär. Die schönste Frau in seinem Leben ist seine Dozentin, ausgerechnet sich ist verheiratet mit einem coolen, sympathischen Typ. Lenny ist konsequent erfolglos.

Wäre nicht seine Freundschaft mit Yussuf und Faris, mit denen er sich regelmäßig in einem ranzigen Jugendclub trifft, würde in seinem Leben nichts passieren. Bis sich an einem Tag alles auf einmal ändert. Lenny lernt Anna kennen, eine echte Leistungssportlerin, die Bier trinkt und raucht und im Rollstuhl sitzt und ehe er sich versieht, hat er sich verliebt. So merkt er zu spät, dass Yussuf und Faris sich in einer Koranschule im Jugendclub radikalisieren. Als seine Freunde sich nach Syrien absetzen wollen, findet er ausgerechnet Hilfe beim Ehemann seiner Dozentin. Der Jugendroman schafft es gerade noch so, nicht ins Klischeehafte abzugleiten und eigentlich ist es auch wichtig, dass die Geschichte gut ausgeht. Ohne Stereotype zu bedienen, erzählt Mark Hudek in Ich schwöre von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens und den fragilen Banden einer Freundschaft.

Titelangaben:

Höner, Guido, Bengsch, Noemi: Entdecke mit uns den Bauernhof.

Münster: LV – Buch, 2019. 96 Seiten, 16€.

Eder, Sigrun und Gottlieb: Fantatiere.

Salzburg: Edition Riedenburg, 2019. 216 Seiten, 19.90€.

Kaiblinger, Sonja, Bertrand, Fréderic: Vincent flattert ins Abenteuer.

Bindlach: Loewe Verlag, 2020. 128 Seiten. 12€.

Holzapfel, Falk: Böse Brummer.

Bindlach: Loewe Verlag, 2020. 160 Seiten. 12€.

Hudek: Marc: Ich schwöre!

Hamburg: Tredition, 2017. 216 Seiten, 9,99€.

Trueit, Trudi: Die Feder des Falken.

Mainz: National Geographic, 2019. 224 Seiten. 14,99€.

 

Winterwerke

So, nun habe ich mich eine ganze Zeit lang vergraben und vor mich hingewerkt. Dabei ist einiges entstanden, während ich auf Klausuren gelernt und meine Auftragsarbeiten abgearbeitet habe. Sogar ich selbst bekomme etwas von meiner Kreatitivtät ab und das ist ja eher selten. Diesmal sind bei mir hängen geblieben: ein neuer Wäschekorb für mein Bad (jajajaja!!) aus alten Zeitschriften, vielleicht ein Stricktuch, denn ich hab es einfach so gemacht und für die Jungs Unterwäsche aus alten T-Shirts. Der Rest geht unter die Leute. Ich weiß, dass ich in vier Wochen wieder Bäume schneiden muss, daher nutze ich noch schnell die Zeit, um kreativ zu bleiben. Die Papierseerose war ein Vorschlag für eine Tischdeko. Mir gefällt sie, vielleicht mache ich mir einen eigenen Papierseerosenstrauß.

Wie vertreibt Ihr Euch die Winterabende?

Ab damit zum Creadienstag!