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Feridun Zaimoglu: Evangelio. Ein Luther Roman.

Zeitreise mit Dämonen

Pünktlich zum Reformationsjubiläum erscheint Feridun Zaimoglus Roman Evangelio. Er umfasst den Zeitraum der Haft, die Martin Luther nach seinem Thesenanschlag in Wittenberg auf der Wartburg verbüßen muss. Im Jubiläumsjahr verarbeitet Zaimoglu wohl eines der prominentesten Schicksale der deutschen Geschichte. Seinem kritischen Blickwinkel ist es zu verdanken, dass aus seinem Luther weder ein vergötterter Prophet noch ein Teufel geworden ist. VIOLA STOCKER begibt sich in den Abgrund der Dämonen.

Es ist Landsknecht Burkhard, ein Katholik, der zum persönlichen Schutz von Martin Luther, genannt Junker Georg, auf der Wartburg abgestellt ist. Der kampferprobte Söldner weiß meist nicht, was er vom intellektuellen Häftling halten soll, auch umgekehrt braucht Luther lange, bis er sich an den rauhbeinigen Kämpfer herantastet. Luther hat sich für die Haft in der Wartburg sein wohl bekanntestes Projekt vorgenommen: die Übersetzung der Heiligen Schrift in die deutsche Sprache.

Visionen eines Visionärs

Die Tage in der Haft verbringt Luther in gequältem Zustand. Sein Körper versagt immer wieder, allen voran das Verdauungssystem, was Wächter Burkhard zu üblen Scherzen verleitet, aber der Metaphorik des Romans folgt, nach der das äußere Streben des Geistlichen von inneren Dämonen und Plagen begleitet wird. Wird Luthers Reformation heute als der Beginn der Moderne gesehen, muten die Bonmots aus des Meisters Mund hier mehr als mittelalterlich an.

Luther ist ein Frauenhasser, der wie ein Inquisitor Dämonen und Teufelsanbeter in jedem Winkel wahrnimmt. Seinen kläglichen köperlichen Zustand vermag er nur durch gelegentliche Exorzismen, denen sich arme Hungerleider unterziehen müssen, zu verbessern. Stets scheint der Katholik Burkhard, der rationale Realpolitiker, im Vorteil und mehr als einmal rettet er Leib und Leben des Predigers.

Ungleiche Freundschaft

Anfangs unfreiwillig, entwickelt sich eine Freundschaft zwischen dem Prediger und dem Söldner. Burkhard unterstützt auf seine unbeholfene Weise Luthers Streben nach einer verständlichen Bibel, der Geistliche hingegen legt für den undiplomatischen Krieger so manch gutes Wort ein, wenn Hauptmann und Burgherr ob der Ruchlosigkeit des Soldaten die Geduld verlieren wollen. Burkhard ermöglicht Luther schließlich zwar nicht die Flucht, doch wohl Ausflüge in die nahegelegenen Ortschaften und schließlich auch nach Wittenberg, wo der Geistliche sich mit seinen Mitstreitern beratschlagt.

Zaimoglu beschränkt sich auf einen kleinen Ausschnitt aus Luthers Biographie und auch dieser wird nicht abschließend behandelt. Die Bibel ist noch nicht fertig übersetzt, als der Roman endet. Den Spannungsbogen bezieht die Handlung aus verschiedenen Kunstgriffen Zaimoglus, die gleichzeitig den Roman sehr authentisch wirken lassen. Zum einen gelingt es Zaimoglu glaubhaft, den historischen Sprachgebrauch nachzuempfinden. Das derbe Mittelhochdeutsch Luthers, die berühmte Schlagfertigkeit des Geistlichen, die sich in zahlreichen Redewendungen bis heute zeigt, spiegelt die Zerrissenheit des Predigers zwischen göttlichem Auftrag und weltlichen Belangen.

Monologe des Zweifelns

Während die deftigen Ausbrüche des Gelehrten oft an die Grenze zur Karrikatur gehen, zeugen die Briefe an Georg Spalatin und Philipp Melanchthon von den tiefen Zweifeln und Kämpfen des Klerikers um eine bessere und reinere Version des christlichen Glaubens. Wie sehr zur damaligen Zeit Glaube und Aberglaube im Alltag vermengt waren, wird durch die vielen Szenen verdeutlicht, die den Krieger Burkhard im Umgang mit seinesgleichen zeigen. Zauberei, Magie und Hexenkunst aus altüberlieferter Zeit waren religiös ummantelt worden und hatten mit dem Christentum der Bibel nur wenig gemein.

Zaimoglus Roman ist dennoch keine Posse, was vor allem an der Briefkorrespondenz zwischen Luther und seinen intellektuellen Unterstützern liegt. Hier offenbaren sich des Reformators schlimmste Zweifel und Befürchtungen, hier kämpft er an vorderster verbaler Front für seine Sache. Sein Aufenthalt in Wittenberg dagegen ist weniger fruchtbringend. Verrat und Furcht durchdringen die sehr heterogene Gesellschaft der Glaubenserneuerer, zahlreiche selbsternannte Propheten oder gar Volksbefreier wollen auf Luthers Welle mitschwimmen. Am Ende wird schweigend Burkhard, der verabscheute Söldner und Katholik, verdingt, auf Verleumder Luthers einen tödlichen Anschlag zu verüben, um der guten Sache willen. Längst ist die Reformation in der Realpolitik angekommen, es riecht nach Krieg und Tod und Burkhard bringt Luther zurück in die Schutzhaft.

Ahnung von Geschichte

Vor allem durch die konsequent angewandte, zeitgenössische Sprache wird der Roman glaubhaft. So könnte es gewesen sein, fernab von Glanz und Gloria, als Luther die Kirche von Rom loslösen und den deutschen Fürsten unterstellen wollte. Im Sumpf des mittelalterlichen Stadtlebens mit seinen Ständen, dem Gesindel, dem Abschaum, dem Schmutz und den Heilsbringern muss Luther sich als wahrer Reformator durchsetzen und sucht die Unterstützung der Fürsten. Für sein Ideal zahlt er mit seiner Freiheit und vielen kleinen Sünden. Wahn und Wahrheit scheinen näher beisammen zu liegen als heute, Hass und Terror unmittelbarer erfahrbar zu sein. Zaimoglu verfasste keine Parabel, der Roman ist eher ein Versuch, sich dem großen Deutschen möglichst neutral und echt zu nähern. Davon profitiert der Lesegenuss, der Intellekt darf selbst die Schlüsse ziehen.

Titelangaben:

Feridun Zaimoglu: Evangelio. Ein Luther Roman.

Köln: Kiepenheuer und Witsch, 2017. 352 Seiten. 22 EUR.

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