Stefan Wiesner, Monica Wiesner-Auretto: Wurstwerkstatt. Brat- und Siedwürste einfach selber
machen.
Es geht um die Wurst
Ich war schon gespannt, als ich die Wurstwerkstatt von Stefan Wiesner und seiner Ehefrau Monica Wiesner-Auretto in meinen Händen hielt. Ein schweizer Sternekoch macht Würste fürs einfache Volk, denn schließlich sollen ja Leute wie ich sie nach kochen können. Und ich mag gerne gutes Fleisch essen. Finden sich hier Seelenverwandte oder bin ich eine Tagträumerin?Ob das gut gehen kann? Jein.
Um die Wurstwerkstatt richtig lesen zu können, ist nur wenig Vorverständnis notwendig, dafür viel Offenheit. Wer sich informieren mag, kann über Stefan Wiesner einiges nachlesen und wird erfahren, dass der leidenschaftliche Koch sämtliche Konventionen über den Haufen wirft um eines zu tun: gutes Essen zu kochen. Das macht ihn ja schon mal sympathisch, schränkt aber die Nachahmbarkeit ein, denn niemand ist Stefan Wiesner außer Stefan Wiesner.
Den Geschmack erden
Bevor man aber das Kochbuch frustriert zur Seite legt, lohnt sich ein Blick ins Innere. Stefan Wiesner schreibt viel über Wurst und Fleisch im Allgemeinen und wer die Seiten nicht überblättert wird sehen, dass Wiesners System zu kochen ein sehr erdiges ist. Im Wortsinn. Wiesner liebt Würste, das merkt man schon an der ästhetischen Aufmachung des Buches. Aber beim Kochen geht es um mehr. Deshalb gibt es auch keine Rezepte für Wiener, Mortadella, Leberkäse und so weiter. Es geht nicht darum, die Metzgerei nachzuäffen.
Wer Würste macht, ehrt das Tier. Das wird bei Wiesner deutlich. Fleisch ist toll, doch beim Schlachten bleibt etwas übrig. Wer nun nicht nur die ungeliebten Abfälle zur Gelbwurst verhunzt, sondern Reste und höherwertiges Fleisch mischt und sich Gedanken um Düfte und Würznoten macht, schafft etwas Neues. Wiesner hat großen Respekt vor den Tieren, die er verarbeitet. Man merkt dies an der Aufmerksamkeit, die er der Zubereitung der Würste angedeihen lässt. Wer so kocht, isst auch anders.
Wurst für alle
Es gibt viele Bücher übers Wursten, ich habe einige davon. Wiesner bricht die Arbeitsmethoden auf das einfachste Prinzip und scheut sich nicht, zu haushaltsüblichen Hilfsmitteln zu greifen. Wurst, das ist zerkleinertes Fleisch und Fett, durch einen haushaltsüblichen Fleischwolf gedreht, in der Küchenmaschine gewürzt und in Naturdärme abgefüllt. Selbige muss man kaufen, aber man braucht nicht einmal eine Wursttülle, zur Not greif Wiesner zum großen Trichter.
Dies ist die unfassbare Stärke dieses Buches. Es wird rudimentär und einfach erklärt, wie man eine Wurst machen kann. Das Brät wird abgefüllt – ob in Därme, Blätter oder Gläser bleibt freigestellt – und erhitzt. Eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet ein Sternekoch wie Wiesner, der sich ständig mit komplexen Gedanken zum Thema Essen und Geschmack umgibt, mir die Angst vor der Wurst nimmt. Liest man die ersten zwanzig Seiten, weiß man, dass man Wursten kann. Wenn auch nicht wie der Maestro, aber darauf kommt es vielleicht nicht an.
Exklusive Rezepte
Es dauert vierzig Seiten, so ausführlich ist die Einführung, bis die Rezepte kommen. Lustig, wie Wiesner seine Rezepte notiert, ich fühle mich ertappt. Es gibt keine ausführlichen Anleitungen. Er erklärt immer nur das Prinzip und die Mengenverhältnisse werden ebenfalls angegeben. So geschieht es, dass jeder Wurst liebevoll eine Doppelseite gewidmet ist, auf der traumhafte Fotos bestechen, das Rezept selber aber selten mehr als zwanzig Zeilen umfasst.
In denen steht aber drin was man wissen muss. Durch welche Lochscheibe wird das Fleisch gedreht, welche Gewürze und wieviel davon, wie dick sollte der Naturdarm sein. Außerdem ist angegeben, ob sich die Würste zum Räuchern eignen, zum Dünsten, Pochieren, Braten oder Lufttrocknen. Und in den letzten zwei Zeilen liegt die Genialität Wiesners, wenn er nämlich beschreibt, wie er diese Wurst auf der Doppelseite angerichtet hat.
Einfache Zubereitung
Ich fand keines der Rezepte schwer, wenn auch die Zutaten nicht bei meinem Metzger zu holen sind. Dennoch bin ich der Auffassung, dass sich auch nichts davon schnell machen lässt. Es braucht Geduld und Umsicht für gutes Essen. Kräuter, die ein Jahr wachsen, Tiere, die langsam aufwachsen dürfen, das lässt sich nicht in dreissig Minuten zerkochen. Wie ernst Wiesner seine Mission nimmt, uns wieder auf den guten Geschmack zu bringen, sieht man im letzten Teil, in dem der Parfumeur Jimmy Studer Geschmacksnoten und Modifikateure erklärt und plötzlich klar wird, dass Wiesner eine Mischung aus Druide, Alchimist und Genießer ist.
Titelangaben:
Stefan Wiesner, Monica Wiesner-Auretto: Wurstwerkstatt. Brat- und Siedwürste einfach selber
machen.
München: AT-Verlag, 2015. 140 Seiten. 34,95 EUR.